Aller guten Dinge sind 3 – Rede an der Bundesfeier in Oberdiessbach

Liebe Oberdiessbacherinnen, liebe Oberdiessbacher

Aller guten Dinge sind drei. Ich freue mich sehr, dass es jetzt beim dritten Mal klappt. Dass diese Feier stattfinden kann, dass wir zusammenkommen können und dass ich ein paar Worte an sie richten darf. Ich will ehrlich mit ihnen sein. Bis vor drei Jahren, als ich diese Anfrage erhalten habe, habe ich nicht viel an Oberdiessbach gedacht. Dann habe ich angefangen mir Gedanken zu machen, habe recherchiert und plötzlich sind auch aus meinen Jugenderinnerungen erstaunliche Sachen zum Vorschein gekommen und auch hier passt: Aller guten Dinge sind drei. Ich habe in Oberdiessbach den Ausgang entdeckt, Oberdiessbach hat mich zum Träumen und Oberdiessbach hat mich zum Lachen gebracht. Aber alles der Reihe nach.

Als Teenager will man ja raus, feiern und Spass haben. Für die ersten zaghaften Versuche war dann aber Bern doch zu gross und Thun zu weit. So zog es mich dank Freunden aus dieser Gegend nach Downtown Oberdiessbach. Und hier wurde Kultur geboten für die Jungen. Geschwoft haben wir in der Bleichi-Disco, der Kopf wurde im Bären geschüttelt zur Oberdiessbacher Gitarrenband Roy and the Devil’s Motorcycle und auch das Openair Kiesgrube war bekannt und beliebt.

Träumen ist auch schön und wichtig. V.a. im Fussball. Als YB-Fan musste ich sehr, sehr lange vom Erfolg träumen und in dieser Zeit haben auch zwei Oberdiessbacher Fussballer, Adrian Kunz und Mario Raimondi, beide mit über 30 Toren für YB viele Fans zum Träumen gebracht.

Tanzen, Träumen und Lachen.

Das Komikerduo Flügzüg hat mich mehr als einmal zum Lachen gebracht und ich muss zugeben, dass ich erst jetzt erfahren habe, dass die eine Hälfte von Flügzüg, Claude Criblez, der schon seit längerem dort wohnt, wo ich aufgewachsen bin, nämlich in Hinterkappelen, ursprünglich aus Oberdiessbach stammt.

Und so ist einmal mehr klar, wenn man sich Zeit nimmt, sich mit einem Thema beschäftigt, entdeckt man immer wieder Neues.

Um bei der Zahl drei zu bleiben möchte ich nun meine Gedanken über drei Themen mit ihnen teilen. Erstens unser politisches System, dass nur mit einem konstruktiven Miteinander funktioniert, zweitens über die AHV unser wichtigstes Sozialwerk und drittens noch über Staumauern und Erdgas. Aber mehr dazu später.

Wenn ich jeweils im Ausland versuche das weltweit einmalige politische System der Schweiz zu erklären, reagieren meine Gegenüber mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Bewunderung: dass zum Beispiel der Bundesrat, also die Regierung, aus den vier grössten Parteien zusammengesetzt ist und sich bei der Wahl unserer Bundesrätinnen und Bundesräte durch das Parlament nicht einfach eine Mehrheit durchsetzt. Sondern die gemeinsame Überzeugung besteht – ein Konsens –, dass alle wichtigen Kräfte in die Landesregierung eingebunden werden sollen. Das ist einmalig auf dieser Welt. Minderheiten werden berücksichtigt, Minderheiten und Mehrheiten wechseln und keine Partei hat die absolute Mehrheit. Weder im Oberdiessbacher Gemeinderat noch im nationalen Parlament. In der direkten Demokratie gilt auch die andere Meinung. Für eine mehrheitsfähige Lösung braucht es den Kompromiss.

Zusammenarbeiten verschiedener Kräfte ist entscheidend, ob es zu einem Kompromiss kommt, bei dem alle einen Teil ihrer Forderungen aufgeben müssen. Dieses Zusammenarbeiten verschiedener Kräfte war für mich entscheidend, damit wir einen guten, in der Bevölkerung breit akzeptierten Weg zur Meisterung der Covid-Pandemie gehen konnten. Auch wenn es Kritik gegeben hat, der Weg sei zu lasch oder der Weg sei zu streng, glaube ich, die Balance insgesamt gelungen. Es gibt noch viele weitere Beispiele dieser Konsensdemokratie, wie wir sie kennen. Nicht zuletzt dass ich, eine SP-Frau aus der Stadt, heute an der Bundesfeier in Oberdiessbach als Rednerin eingeladen bin. In eine Gemeinde, die von einer SVP-Politikerin präsidiert wird. An eine Bundesfeier, die nur funktioniert, weil viele helfen und einen Beitrag leisten. Sei es organisatorisch, kulinarisch oder musikalisch. Wenn alle etwas beitragen und im Austausch sind, trotz Unterschiede, entsteht Fruchtbares.

Nur dank einem solidarischen Miteinander funktioniert auch unsere Altersvorsorge. Nach dem 2. Weltkrieg 1945 haben ein FDP-Bundesrat und ein SP-Nationalrat die AHV aufgegleist. Im Herbst 1947 endete dann die Abstimmung mit einem riesigen Ja-Anteil und ein paar Monate später zahlte der Pösteler dem Grossvater meines Vaters, der heute auch hier ist, die erste AHV-Rente aus. Tausende Menschen wurden aus der Altersarmut befreit. Und noch heute sichert sie vielen Menschen ein Alter in Würde. Die AHV funktioniert solidarisch zwischen hohen Einkommen mit bescheidenen Einkommen und solidarisch zwischen der arbeitenden Bevölkerung und den Pensionierten. Wer viel verdient zahlt mehr in die AHV-Kasse als Leute mit tieferen Einkommen. Und wenn Löhne steigen, fliesst mehr Geld in die AHV-Kasse.

Trotzdem haben wir ein Problem mit der Höhe der Renten. Die AHV sollte Existenz sichern, so steht es in der Bundesverfassung. Aber 1800 CHF, das ist die mittlere AHV-Rente, das reicht nicht. Deshalb müssen immer mehr Menschen Ergänzungsleistungen beziehen im Alter, um ihre Existenz sichern zu können. Schon wenige Zeit nach der Pensionierung sind das 11%. Tendenz steigend. Die AHV-Rente ist zu tief und muss gestärkt werden, und sie braucht eine Zusatzfinanzierung. Zusammen mit der SVP hat die SP vorgeschlagen im Nationalrat vorgeschlagen, Gelder der Schweizerischen Nationalbank in die AHV zu lenken. Der Ständerat hat das leider gekippt, deshalb wurde im Mai eine Volksinitiative lanciert mit dieser Forderung. Andere möchten die AHV sichern, indem länger gearbeitet werden soll und mit der Erhöhung der MWSt der Konsum stärker besteuert werden soll. Das ist der Inhalt der AHV21, wie sie zur Abstimmung kommt. Das ist für mich nicht der Königsweg, weshalb ich die AVH-Reform am 25. September ablehnen werde. Wir können das besser, wenn wir zusammenstehen und uns zu einer starken und existenzsichernden AHV bekennen.

Ich glaube wir stehen an einem ähnlich entscheidenden Punkt wie nach Kriegsende vor fast 80 Jahren bei der Einführung der AHV. Wir haben eine grosse politische Herausforderung zu meistern, die wir nur miteinander schaffen. Aktuell werden wir als Land stark gefordert. Das Kriegsgeschehen in der Ukraine macht uns betroffen. Aus Betroffenheit ist Solidarität in der breiten Bevölkerung entstanden. Und dieser Krieg führt uns auch vor Augen, wie abhängig unsere Energieversorgung von Staaten ist, die unser Wertesystem mit Füssen treten. Dieser Krieg zeigt uns, wie abhängig wir von Erdöl und Erdgas aus dem Ausland sind. Dabei ist nicht nur die Abhängigkeit problematisch, sondern dass fossile Energien unserem Planeten bereits schaden und unseren kommenden Generationen viel Leid und Probleme bereiten. Nehmen wir also diese Krise zum Anlass unsere Energieversorgung unabhängiger vom Ausland zu machen, heimische erneuerbare Energien und Arbeitsplätze fördern. Dafür braucht es ein Milliardeninvestitionsprogramm. Das tönt jetzt für einige vielleicht illusorisch oder zu hoch gegriffen. Aber ich möchte an dieser Stelle an frühere Grossprojekte erinnern. Mit Milliardeninvestitionen wurden vor vielen Jahrzenten die Grosswasserkraft gebaut und das Eisenbahnnetz erstellt. Beides Infrastrukturen, von denen wir noch Jahrzehnte später profitieren.

Wie gelingt uns jetzt der Ausstieg aus den fossilen Energien? Auch hier müssen wir den Kompromiss suchen und politische Differenzen überwinden – die Energiewende weiterführen und gestalten. Alle müssen aufeinander zugehen. Wir können es uns nicht mehr leisten, dass es bei jeder Erhöhung einer Staumauer ein «Gchär» und Blockaden gibt. Auch beim Denkmalschutz und Landschaftsschutz braucht es Kompromissbereitschaft, damit wir die Energie der Sonne, des Windes und des Wassers optimal nutzen können. Auf der anderen Seite müssen auch Kräfte einen Schritt machen, welche kritisch sind gegenüber Grossinvestitionen vom Staat. Wir können die Energiewende nicht jedem Einzelnen oder der Wirtschaft überlassen. Ich bin sicher, wir haben eine gemeinsame Überzeugung, dass wir unserer Landschaft Sorge tragen müssen. Dass wir die Hebel, wie wir Energie erzeugen und konsumieren jetzt umstellen müssen.

Lieber Oberdiessbacherinnen, liebe Oberdiessbacher

Ich bin überzeugt, dass wir auch in der Politik einen guten Ausgleich von Kräften, Meinungen und Ideen brauchen, damit wir ein friedliches, zukunftsfähiges und fruchtbares Miteinander sichern können. Und wir brauchen Mut und Weitsicht, damit wir die grossen Herausforderungen dieser Zeit, wie eine starke Altersvorsorge oder der Ausstieg aus den fossilen Energien, meistern können. Das sind wir unseren kommenden Generationen schuldig. Wenn ich drei Wünsche zum heutigen Geburtstag unseres Landes frei habe, dann sind das: ein konstruktives Miteinander, Mut und Weitsicht.

Ich danke ihnen fürs Zuhören. Ich danke für die Einladung. Allen Beteiligten gratuliere ich zu diesem schönen Anlass und ich wünsche allen noch einen schönen 1. August! Vielleicht auch mit Tanz, Träumen und Lachern.

 

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