Warum hast du nicht geschrien? Wir müssen unser Sexualstrafrecht reformieren

Sex sollte schön, lustvoll und vor allem einvernehmlich sein. Ob zwischen bekannten, vertrauten oder unbekannten Menschen. Und niemand soll Angst vor Sex haben. Niemand sollte ungewollt sexuellen Handlungen ausgesetzt werden. Klingt logisch?
Am 21. Mai hat Amnesty International schockierende Zahlen publiziert und damit verdienstvoll eine kontroverse Debatte in der Schweiz angestossen. Schockierend, weil die in Auftrag gegebene GFS-Studie ergeben hat, dass jede 5. Frau über 16 einen sexuellen Übergriff erlebt hat und jede 10. Frau schon einmal Sex gegen ihren Willen hatte. Diese Zahlen weichen erheblich von der Kriminalstatistik ab, was auf eine riesige Dunkelziffer deutet. Sexuelle Übergriffe werden demnach höchst selten angezeigt und noch seltener kommt es zu einer Verurteilung.
Schuld daran sind Schamgefühle, gesellschaftliche Konventionen, schwierige familiäre Situationen, ungenügende Unterstützung oder Beratung, Angst vor Stigmatisierung und eben auch unser Sexualstrafrecht.
Nach heutigem Sexualstrafrecht liegt keine Vergewaltigung vor, wenn ein Mensch ungewollten Sex passiv über sich ergehen lässt. Vielmehr muss ich mich aktiv wehren, schreien, die Person schlagen oder kratzen, wenn ich keinen Sex will, sonst wird stillschweigende Zustimmung vermutet. Wenn also eine Frau beim Sex „Nein“ oder „Stopp“ sagt, sich aber nicht aktiv wehrt, liegt keine Vergewaltigung vor. Genau ein solcher Fall, hat die Juristin Nora Scheidegger dazu bewogen, eine Dissertation über dieses Thema zu schreiben (Das Sexualstrafrecht in der Schweiz – Grundlagen und Reformbedarf).
Dass sich eine Frau nicht aktiv wehrt, weil sie überrumpelt ist oder Angst hat, ist nachvollziehbar. Eine junge Frau erleichtere sich nachts in einem Park und plötzlich steckte jemand seine Finger in ihre Scheide. Diese Handlung ging so schnell geht, dass sie gar nicht schreien konnte. Sie war derart überrumpelt, dass sie möglicherweise in den ersten Sekunden wie „gelähmt“ war und erst danach realisierte, was da vor sich gegangen ist. Ja, dann ist gemäss Schweizer Sexualstrafrecht Pech. Es liegt dabei kein strafrechtlich relevanter sexueller Übergriff vor. In Stockholm hingegen, wo dieser Vorfall passiert ist, konnte diese Frau klagen. Die frühere Staatsanwältin und heutige Opferanwältin Silvia Ingolfsdottir schildert die positiven Erfahrungen mit der Zustimmungslösung in Schweden eindrücklich.
Sex soll schön, gewollt und lustvoll sein. Eine Selbstverständlichkeit. Und unser Sexualstrafrecht, soll dies auch abbilden. Deshalb ist es an der Zeit, eine Reform an die Hand zu nehmen. Ein paar Ständeräte (leider nur Männer) sind nun mit verschiedenen Vorschlägen beschäftigt. Was dabei herauskommt, ist ungewiss. Die Skepsis und Vorbehalte leider gross.
So oder so werden wir in der Rechtskommission des Nationalrates im Rahmen der Harmonisierung der Strafrahmen, die von den Strafrechtlerinnen Anna Coninx und Nora Scheidegger in die Diskussion gebrachte Veto-Lösung (betroffene Person muss verbal oder non-verbal Ablehnung signalisieren) und die Zustimmungs-Lösung (betroffene Person muss verbal oder non-verbal Zustimmung signalisieren) beantragen. Die Diskussion um ein modernes und menschenfreundliches Sexualstrafrecht ist überfällig. Auch wenn es noch viel Überzeugungsarbeit braucht, sind wir überzeugt, dass wir in der Schweiz, das Sexualstrafrecht reformieren müssen. Weil gesellschaftliche Normen und Werte das Recht auch prägen und hier hat sich (zum Glück) die Gesellschaft geändert: Sexuelle Übergriffe sind kein Kavaliersdelikt mehr und Gleichberechtigung gilt auch im Bett.

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