Länge Schnuuf und Hartnäckigkeit – meine Rede an der 125-Jahre-Jubiläumsfeier der SP Belp

Liebe Genossinnen, liebe Genossen

Liebe Gäste

“Das isch doch utopisch!”

“Da griifschs aber wieder mal töif id die sozialistische Mottekiste!”

Wenn sie Sozialdemokratin sind, kennen sie diese Reaktionen. Also entweder sind wir naive Träumerinnen oder werden als ewiggestrige Sozialisten abgestempelt. Und wissen sie was? Es ist ein Kompliment, eine grosse Auszeichnung. Diese Utopien aus der sozialistischen Mottenkiste sind heute Lebensqualität. Es sind soziale Errungenschaften, welche die moderne Schweiz von heute prägen und wir können stolz darauf sein.

Was meine ich damit? Die moderne Schweiz von heute wurde von SP und Gewerkschaften vor über 100 Jahren formuliert und dank “em länge Schnuuf” und Hartnäckigkeit unserer Vorkämpferinnen und Vorkämpfer auch realisiert. Dafür möchte ich an drei Forderungen des Landesstreiks von 1918 erinnern:

  • 48-Stunden-Woche
  • AHV
  • Frauenstimmrecht

Was damals, in dieser von grossem sozialen Elend geprägten Zeit als utopisch und realitätsfremd, wirtschaftsfeindlich oder unfinanzierbar galt, ist Jahre oder Jahrzehnte später realisiert worden.

Keine Ferien, keine Arbeitszeitbeschränkung, keine Rente. “Schufte bis zum Umkippe.” Die Verkürzung der Arbeitszeit wurde für die Fabrikarbeiter 1920 zum Gesetz. Die Einführung der AHV 1948 hat tausende von Menschen aus der Armut befreit und beides hat den Sozialstaat von heute begründet. Den Sozialstaat den wir dank der Einführung der ALV, der IV oder der Mutterschaftsversicherung zu einem Garanten von Wohlstand, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit für die gesamte Bevölkerung aufbauen konnten. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen und anständige Renten im Alter sind Voraussetzungen für ein Leben in Würde, Freiheit und Sicherheit.

Ich komme zum dritten Punkt der Landesstreik-Forderungen, die ich aufgegriffen habe: Das Frauenstimmrecht wie es unsere Genossinnen und Genossen vor über 100 Jahren gefordert haben. Der Kampf bis zur Einführung hat in der Schweiz über ein halbes Jahrhundert gedauert. In diesem Jahr begehen wir in Würdigung dieser Vorkämpferinnen das 50 Jahre-Jubiläum des Frauenstimmrechts. Frauen, die für ihren Kampf beschimpft, teils bedroht und lächerlich gemacht wurde. Wir begehen in grosser Dankbarkeit dieses Jubiläum, weil “dä läng Schnuuf”, die Hartnäckigkeit, dieser Kampfgeist auf der Strasse und in unzähligen Aktionsgruppen  unser Land erst 1971 zur wirklichen Demokratie gemacht.

Ich habe die Einführung der 48-Stunden Woche, die Einführung der AHV 1948 und das Frauenstimmrecht gewählt, weil sie uns Würde, soziale Sicherheit, Freiheit und gleiche Rechte gebracht haben. Aber ich habe sie auch gewählt, weil sie über hundert Jahre nach dem Landesstreik auch heute noch im Zentrum harter politischen Auseinandersetzungen stehen.

Die Industrialisierung hat die Arbeitswelt grundlegend verändert. Und auch heute geht die Veränderung in der Arbeitswelt weiter, die Automatisierung und künstliche Intelligenz ersetzen Menschen, Roboter steigern Produktivität und Rendite von Unternehmen. Und obwohl sich die Produktivität seit den sechziger Jahren verdoppelt, beträgt die wöchentliche Arbeitszeit immer noch zwischen 45 und 50 Stunden. Deshalb fordert die SP auch heute ein Umdenken in der Wirtschaft mit u.a. der Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn: Die 35-Stunden-Woche. Das würde uns erlauben eine fairere Verteilung bezahlten Erwerbsarbeit und der unbezahlten Care-Arbeit wie Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen erlauben. Dies würde die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Dies würde die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern. Und auch für diese Forderung 35-Stunden-Woche werden wir heute belächelt oder gar beschimpft.

Und was ist mit der AHV? Hier kämpfen wir gemeinsam mit Gewerkschaften und einer grossen feministischen Bewegung für die Sicherung der AHV-Renten aktuell im Reformprojekt AHV21. Wir lassen uns nicht vormachen, dass die Finanzierung der AHV nur auf dem Buckel der Frauen möglich ist. Das nota bene vor dem Hintergrund, dass die Frauen heute einen Drittel weniger Rente haben, im Schnitt 20% weniger verdienen, Altersarmut weiblich ist und die Frauen über Zweidrittel der unbezahlten Sorgearbeit leisten, die ihnen grosse Löcher in die Pension reissen. Wir lassen uns nicht vormachen, dass für die finanzielle Absicherung der AHV nur die Reduktion der Rentenleistung für Frauen denkbar ist, während dem Kapitaleinkommen steuerbefreit sind, während dem auf Dividenden keine AHV-Beiträge bezahlt werden. Während dem jährlich 95 Milliarden praktisch steuerfrei in der Schweiz vererbt werden.

Wenn das Frauenstimmrecht die Schweiz erst 1971 zu einer vollständigen Demokratie gemacht hat, müssen wir heute ehrlich feststellen, dass ein Viertel der Menschen, die in unserem Land leben, auch hier geboren und aufgewachsen sind, kein politisches Mitspracherecht haben. Ich finde es für die Weiterentwicklung unserer Demokratie auf die Mitsprache möglichst vieler, nichts als richtig, dass die SP das AusländerInnenstimmrecht fordert. Auch dafür werden wir als Vaterlandsverräter abgetan. Aber lassen wir uns dadurch nicht vom wichtigen Leitgedanke Willy Brandts abbringen: Mehr Demokratie wagen.

Es ist für mich wunderbar hier dass stolze Jubiläum der SP Belp zu feiern. Nicht nur, weil die als «Arbeiterverein Eintracht von Belp und Umgebung» 1896 gegründete SP Belp zu einer der ältesten Sektionen im Kanton Bern gehört.

Wir sind natürlich heute auch besonders gerne bei euch, weil wir gerne alle ein wenig SP Belp wären, wenn ich auf den WählerInnenanteil von 29.2%, der zu einem dritten Mitglied im Gemeinderat geführt hat. Ich durfte mit euch Genossinnen und Genossen am geschichtsträchtigen Datum, dem Frauenstreik vom 14. Juni 2019, den Abend bei Wurst und Salat verbringen. Dieser Austausch ist mir sehr positiv in Erinnerung geblieben. Zwischen Klimastreikjugendlichen, Feministinnen, alteingesessenen Genossen und Sympathisierenden wurde auf Augenhöhe und mit Entschiedenheit diskutiert, wie die SP Belp erfolgreich in die Wahlen steigen kann. Und dafür braucht es immer viel Freiwilligenarbeit, Engagement und Herzblut. Das ist nicht immer einfach. Aber die SP Belp konnte einen grossen Erfolg verbuchen im November letzten Jahres und nun sind unsere Gemeinderatsmitglieder Kristin Arnold Zehnder, Adrian Kubli und Stefan Neuenschwander daran, Belp ökologisch, sozial und sicher zu gestalten. Sie setzen sich ein, dass Belp Richtung Energiestadt geht und noch energieeffizienter, klimafreundlicher und ökologischer wird. Mit dem Einsatz für Verkehrsberuhigungen, die Förderung des Fuss- und Veloverkehrs und einem verbesserten Kinderbetreuungsangebot erhöhen sie die Lebensqualität in Belp.

Diese Arbeit ist wichtig. Und auch diese Arbeit im Gemeinderat oder auch als einfaches Mitglied beim Unterschriftensammeln oder beim Verfassen eines Artikels für das Info-Magazins die Lupe braucht viel Energie. Wie auch der Blick in unsere Gründungsgeschichte gezeigt hat, können wir Veränderungen nur mit viel Beharrlichkeit, Mut und Energie umsetzen. Wo holen wir die Energie, uns für eine gerechtere und sozialere Politik in Belp einzusetzen? Für mich geben solch schöne Anlässe wie heute viel Energie und ich gratuliere der SP Belp für die Organisation dieses schönen Fests und danke herzlich für die Einladung. Und mit einem Zitat unseres sehr geschätzten und leider letztes Jahr verstorbenen ehemaligen Parteipräsidenten Helmut Hubacher schliesse ich: Die Energie die wir dafür brauchen, bekommen wir vom Strom, gegen den wir schwimmen.

Schöne Jubiläumsfeier und danke für die Aufmerksamkeit!

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