Rede an der Diplomfeier der Absolvent:innen des Bildungszentrums für Wirtschaft und Dienstleistung (bwd) Wirtschaftsmittelschule inkl. BM, Berufsmaturität (Vollzeit oder berufsbegleitend), Informatikmittelschule inkl. BM
Liebe Absolventinnen und Absolventen, liebe Eltern, Lehrpersonen, liebe Anwesende
Ein junger Mann liegt in Badehosen auf einer Luftmatratze. Und treibt vor sich hin. Das Wasser im Swimmingpool ist kühl und klar. Die Sonne brennt vom Himmel herab, direkt auf Hinterkopf und auf seinen Rücken.
Dieser Typ hat soeben die Matura bestanden. Auf der Veranda neben dem Pool tummeln sich die Eltern und andere Gäste, mit Champagnergläsern in den Händen, um ihm zu gratulieren. Doch der frischgebackene Maturand braucht jetzt erstmal etwas Zeit für sich, unter der Sonne, auf der Luftmatratze im Swimmingpool. Er fühlt sich leer, leer und erschöpft.
Was ich ihnen eben beschrieben habe, ist eine Szene aus dem Film Die Reifeprüfung im Originaltitel „the Graduate“. Ein sehenswerter Film, mit Dustin Hoffmann in der Hauptrolle und der schönen Musik von Simon & Garfunkel. Und wenn ihnen das alles nichts sagt, dann weil der Film 40 Jahre älter ist als sie.
Abschlussprüfungen sind ein hartes Stück Arbeit. Sie haben viele Stunden investiert, auf einiges verzichtet. Wahrscheinlich haben sie auch eine Achterbahn an Emotionen erlebt: Neugier bis Desinteresse, erleuchtende Erfahrungen bis Ärger über die Lehrpersonen, Freude und Zweifel.
Sie haben Freundschaften geschlossen und zusammen gelacht.
Der Horizont ihres Wissens ist so gross wie nie zuvor. Sie haben all dieses Wissen aus der Schule im Gehirn abgespeichert. All dieses Wissen aus Wirtschaft und Informatik, aus Deutsch, Englisch und Französisch, aus Mathematik und Physik, aus Biologie, Geschichte oder Geographie.
Sie allen haben viel Herzblut, Zeit und Fleiss investiert, um das Wissen in ihren Kopf zu bringen. Und um endlich hier zu sitzen, und das verdiente Abschlussdiplom zu erhalten. Und auch wenn sie lieber auf der Luftmatratze floaten würden – vor oder nach der grossen verdienten Party – müssen sie jetzt noch ein paar Reden über sich ergehen lassen, mit den Eltern und Lehrpersonen anstossen.
Ich bin gerade nebenan ins Neufeld zur Schule gegangen. Zwei Sachen sind mir besonders geblieben: Freundschaften, die bis heute bestehen, und starke Erinnerungen an umwerfende Sonnenaufgänge über den Berner Alpen während der ersten Schulstunde jeweils im Wintersemester. Diese Aussicht ist einmalig, auch heute noch.
Ebenso einmalig ist der Horizont des Wissens. Sie alle haben in den letzten Jahren viel für ihre persönliche Bildung getan. «Bildung ist kein Arsenal, sondern ein Horizont», sagt Hans Blumenberg, ein deutscher Philosoph. Doch was meint er damit?
Das spezifische Wissen, das sie jetzt gelernt haben, ist nicht entscheidend, und wird bald vergessen gehen. Das Diplom, das sie erhalten, ist sicher wichtig und öffnet euch Türe und Tore. Aber: Entscheidend für sie, ist dass das Erlernen dieses Wissens ihren Horizont erweitert und so die Perspektive auf ihr Umfeld, auf die Umwelt verändert hat.
An der WMB oder der IMS geht es ums Lesen, ums Rechnen, Schreiben und Programmieren, ums Nachdenken, ums Verstehen und Auswendiglernen; aber auch ums Zusammensein mit Gleichgesinnten, mit Andersdenkenden; ums Zuhören, Diskutieren, Formulieren. Das tägliche Lernen an ihrer Schule hat ihre Perspektive verändert, ihren Horizont erweitert. Mit dem vielen Wissen und Können schauen sie heute wahrscheinlich mit anderen Augen auf die Welt da draussen; mit anderen Augen als damals, als sie zum ersten Mal den Fuss in ihre Schule gesetzt haben.
Vielleicht schaffen sie es jetzt sogar viel weiter zu blicken als auf die Berner Alpen, über Eiger, Mönch und Jungfrau hinaus; weiter auf den Sandstrand, auf das Meer, auf andere Dörfer, Städte, Länder und Kontinente.
Und wissen Sie, was das Beste daran ist? Dieser neue Blick auf die Welt, kann ihnen überhaupt niemand mehr wegnehmen. Das Diplom natürlich auch nicht.
Und zu dem gratuliere ich ihnen herzlich, und wünsche ihnen für die Zukunft alles Gute und viel Horizonterweiterung, sei das durch weitere Bildung, Freundschaften, Reisen, Arbeit, auf die Nase fallen oder einfach durch das sich treibenlassen. Feiern sie schön! Und fühlen sie sich danach ruhig auch mal leer und erschöpft. Der Trick mit der Luftmatratze funktioniert nicht nur im Swimmingpool, sondern sicher auch in einem Gummiboot auf der schönen, grünen Aare.